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Thinking Day 2021
«Versucht, die Welt ein bisschen besser zurückzulassen als ihr sie vorgefunden habt.»
Lord Robert Baden-Powell, Gründer der Pfadibewegung
Faktencheck:
Der World Thinking Day ist der Tag an welchem wir den Geburtstag unseres Gründers Robert Baden-Powell sowie seiner Ehefrau Olave Baden-Powell gedenken. An diesem Tag denken wir über die Rolle unseres Gründers sowie seine globalen Auswirkungen nach.
Mitmachen:
Gedenke auch du unserem Gründer und trag am 22.02.2021 dein Foulard der Abteilung Ritter Berchtold.
Geschichte:
Als kleine Überaschung könnt ihr hier eine kleine Geschichte Lesen.
Erkennt ihr zu welchem Pfadigestzt die Geschichte passt?
Dann sendet uns die Lösung an abteilungsleitung@ritter-berchtold.ch
Als kleine Auffrischung:
Wir Pfadi wollen:
… offen und ehrlich sein
… andere verstehen und achten
… Freude suchen und weitergeben
… miteinander teilen
… unsere Hilfe anbieten
… Sorge tragen zur Natur und allem Leben
… uns entscheiden und Verantwortung tragen
… Schwierigkeiten mit Zuversicht begegnen
Die Truhe
Als ich in die erste Klasse kam, schenkte mir mein Gotti eine Truhe. Sie sah zwar toll aus, genauso, wie so eine Schatztruhe eben aussehen muss, war aber, anders als die ganzen Schultüten, nicht gefüllt mit leckeren Süssigkeiten, sondern einfach leer. „Füllen musst du sie selber“, erklärte mein Gotti. Das war schwierig. Ich bekam einen Franken Sackgeld pro Woche. Und der kam in mein Sparsäuli und das hatte noch jede Menge Platz. „Kriege ich von dir denn jetzt auch einen Franken Sackgeld pro Woche“, wollte ich wissen. Mein Gotti schüttelte nur den Kopf und sagte ein kompliziertes Wort, das wie „Kapitalist“ klang. Es war wohl nicht allzu nett, aber auch gar nicht für meine Ohren bestimmt. „O nein, in diese Schatztruhe kommen nur Sachen, die man nicht kaufen kann“, erklärte sie ernst. Das verstand ich natürlich, ich hatte zu Hause eine ganze Schneckenhaussammlung. Aber die sollte ihren Platz nicht in der Truhe finden. Mein Gotti drückte mir einen Stapel buntes Papier in die Hand. „Hier, das kommt in die Schatzkiste. Du lernst jetzt schreiben. Und jeden Abend, bevor du ins Bett gehst, schreibst du dir auf, was du mit deinen Freunden und Freundinnen, mit deiner Familie oder mit anderen Leuten für schöne Sachen erlebt hast oder worüber ihr gelacht habt. Die Zettel kommen in die Schatzkiste.
“ Ganz verstand ich das zwar nicht, aber mein Gotti war jemand, bei dem man nie wusste, was als Nächstes passieren würde. Vielleicht hatte sie auch eine Idee, wie es weitergehen würde mit dieser Schatzkiste. Vielleicht durfte ich sie zu Weihnachten gegen Süssigkeiten eintauschen oder so. Weil ich als einziger keine Schultüte hatte, durfte ich mich bei Milo bedienen. Und das war dann auch gleich mein erstes Zettelchen (genau genommen musste Mama es für mich fertig schreiben). Ich begann also eifrig schreiben zu lernen und die Kiste zu füllen. An Weihnachten fragte ich mein Gotti, ob ich den Inhalt der Kiste gegen Süssigkeiten tauschen dürfe. „Ist die Kiste denn schon voll?“, wollte sie wissen. Ich schüttelte den Kopf. „Dann gibt’s auf keinen Fall Süssigkeiten“, entschied sie. Ein Jahr verging, ich schrieb weiter Zettelchen, aber die Kiste war immer noch nicht voll. Dann verging noch ein Jahr, noch eins und noch eins. Aber die Kiste war nie ganz voll und mein Gotti wollte den Inhalt nie gegen Süssigkeiten tauschen, und dann vergass ich sogar zu fragen. Aber Zettelchen schrieb ich trotzdem, irgendwie hatte ich mich daran gewöhnt und es war schön mit den Gedanken, was man alles Schönes erlebt hatte, einzuschlafen.
Und dann geschah, was mein Gotti wohl die ganze Zeit schon geahnt hatte, ich erkannte plötzlich, wozu diese Kiste gut war.
Es war November und schon seit einer Weile ziemlich grau und kalt. Das wirkte sich natürlich auf uns Schüler aus, aber ich glaube die Lehrer spürten das noch viel mehr als wir. Milo jedenfalls bekam einen rechten Rüffel (auf Französisch), weil er verpasst hatte zu antworten. Er war sowieso sehr still in letzter Zeit. In Mathe kassierte er den zweiten Zusammenschiss, dieses Mal von seinem Lieblingslehrer, weil er die Hausaufgaben nicht gemacht hatte. „Die sind ja alle schlecht drauf“, versuchte ich ihn nach der Stunde aufzuheitern. Milo schwieg, während wir zur Turnhalle eilten. Das war auch nicht gerade typisch für ihn. Sport war immer gut, Sport war, Sport halt, bewegen anstatt denken. Wer mag das schon nicht. Wir spielten Unihockey, was super war, weil wir so richtig die Sau rauslassen konnten.
Aber Milo, normalerweise einer der besten Spieler in unserer Klasse, verpasste mehrere Pässe. Irgendjemand schrie ihn schliesslich an, er solle endlich aufwachen oder nach Hause
gehen. Und dann, ich weiss nicht genau, wie es dazu kam, musste ich einen wild um sich schlagenden Milo von Nathan wegzerren.
Natürlich kassierte ich auch eine und natürlich war genau das der Moment, in dem der Lehrer dazwischen ging, uns alle drei zum Nachsitzen verdonnerte und uns vom Feld nahm. Nathan war echt sauer deswegen, unser Team wurde um drei Personen kleiner und verlor hoch, weswegen die anderen im Team auch nicht mehr besonders gut auf Milo zu sprechen waren. Ich war böse auf den Sportlehrer, ich hatte mich schliesslich mit niemandem geprügelt (nicht, dass das nicht auch schon mal passiert wäre, aber in diesem Fall war ich unschuldig). Ich beschloss den Versuch zu wagen und den Sportlehrer abzufangen. „Du kommst wohl, weil du es unfair findest, dass du nachsitzen musst?“, stellte er fest und blickte mich streng an. Noch einer, der gerade nicht allzu gut gelaunt war. Meine Chancen auf Nichtnachsitzen sanken. „Jaja ich weiss, mitgehangen, mitgefangen“, murmelte ich. Das war so ein Spruch des Sportlehrers, ja aller Lehrer eigentlich. Er wiegte den Kopf. „Dieses Mal würde ich das so nicht sagen. Ich weiss, dass du versucht hast Milo zu stoppen, aber ich glaube, es tut ihm gut, nicht ganz alleine nachzusitzen.“ Diese Antwort hatte ich wirklich nicht erwartet. „Ich muss also nachsitzen, weil Milo sich nicht im Griff hat. Echt jetzt?“, der Sportlehrer nickte. „Vielleicht bringt ihn das zurück auf die Bahn“. Ich trollte mich kopfschüttelnd davon.
An diesem Abend gab‘s nur ein Zettelchen für das feine Abendessen.
Am nächsten Nachmittag fassten wir Eimer und Hacken und begannen den Pausenplatz zu jäten. Nass, kalt, eklig. Nathan hatte natürlich wieder den tollen Job in der warmen Schule gefasst, nämlich Toilettenpapier auffüllen.
Ich grollte vor mich hin und Milo hing seinen Gedanken nach. Irgendwann kämpfte er mit einem ziemlich garstigen Unkraut-Büschchen, das partout nicht aus der Erde wollte. Milo schrie es an. Ziemlich wüst, sogar für meine Verhältnisse. „Chills mal, das ist nur Unkraut“, murmelte ich. „Lass mich bloss in Ruhe, du hasst mich ja sowieso“, fauchte Milo. Das war das zweite Mal innert zwei Tagen, dass mich eine Antwort ernsthaft überraschte. Ich liess das mal setzen, jätete noch ein bisschen weiter und gab schliesslich meinen Eimer ab. Milo kämpfte noch immer mit seinem Büschel-Busch oder was es auch immer war. „Willst du ihm nicht helfen?“, fragte der Hausmeister. Ich schüttelte den Kopf. „Nicht mit diesem Grünzeug“, murmelte ich und ging nach Hause.
Mir war gerade aufgefallen, warum ich diese Schatzkiste von meinem Gotti eigentlich seit Jahren mit Zetteln füllte. Zu Hause wurde diese auf den Kopf gestülpt. Einen Abend lang wühlte ich mich durch tausend Erinnerungen. Alle, die ich von Milo fand, kamen in die Kiste, die anderen in einen Beutel.
Am nächsten Tag nahm ich meine Milo-Schatzkiste und ging zu ihm nach Hause. Jemand schrie. Eine Türe knallte. Ich klingelte. Milos Papa, wutrot im Gesicht, öffnete. Er sagte nicht mal Hallo. „Miiilloooooo“, brüllte er. Müde kam Milo an die Türe. Im Innern der Wohnung knallte wieder eine Türe. „Was willst du?“. Ich hielt wortlos die Truhe hin. „Was soll das?“, fragte Milo. „Zieh einen Zettel“, forderte ich ihn auf. Er zog einen und las, dann zog er noch einen und noch einen. „Da steht überall etwas über mich drauf“, stellte er fest und zog einen vierten Zettel. Irgendwann lächelte er „Das mit der Schultüte weiss ich auch noch“.
Er zog die Türe hinter sich zu, wir setzten uns auf die Treppe und Milo zog noch eine Weile länger Zettel aus der Truhe. Irgendwann leerte er alle zurück und schaute mich an. „Ich weiss, du hasst mich nicht“, stellte er fest. „Es ist nur gerade so: Meine Eltern streiten die ganze Zeit und ich kann nichts dagegen tun, ich komme mir so nutzlos vor.“
Ich schüttelte den Kopf. „Nutzlos sind nur diese streitenden Erwachsenen, du bestimmt nicht. Sonst hätte ich hier nicht eine Schatztruhe voll Milo-Zettel“, erklärte ich feierlich und lud ihn erst einmal zum Abendessen ein.
Milos Laune wurde nicht unbedingt blendend in den nächsten Tagen, aber schon etwas besser. Vielleicht, weil sich seine Eltern dann irgendwann entschieden, dass es so nicht weitergehen könne und Milos Mama auszog. Vielleicht weil er im Moment immer bei uns zum Essen war. Vielleicht, weil ich dem Sportlehrer erklärte, was gerade los war und ich glaubte, die eine oder andere Lehrperson
hat daraufhin etwas Nachsicht gezeigt. Und vielleicht auch wegen meiner Schatztruhe. Ich weiss es wirklich nicht. Aber, als mich das Gotti an Weihnachten fragte, ob ich meine Truhe immer noch gegen Süssigkeiten eintauschen wollte, lachte ich sie nur aus. „Ich bin doch nicht verrückt“, die ist so viel Wert, das würde dich und meine Zähne komplett ruinieren. Wir lachten beide.
Quelle der Geschichte: Onlinebroschüre: Lagerfeuergeschichten für Gesetz & Versprechen Redaktion: Andrea Lustenberger / Twist, Cinzia Peruzzi / Yabba, Fabian Halter / Squirrel, Jean-Luc Georgy / Alimento, Michael Weber / Pélé 22. Gilwellstamm Autoren: Caroline Schmiege, Smart, Onda, Lazana, Blitz, Chaja, Kirk, Shy, Stilz, Arisca, Twist, Alimento und Squirrel Quelle Bild: PBS / LINK